Die USA werden zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Ziele künftig verstärkt zu Sanktionen greifen. Ein Präsident Trump wird dabei auf Europa nur wenig Rücksicht nehmen; aber auch für Biden steht das US-Interesse an erster Stelle. Deutschland allein kann sich amerikanischen Sekundärsanktionen kaum widersetzen, aber es kann sich für die Stärkung der EU-Verhandlungsmacht einsetzen. Dazu sollte es auch auf die Institutionalisierung des transatlantischen Dialoges über die Sanktionspolitik drängen.
Der strategische Wettbewerb zwischen den USA und China wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, und zwar unabhängig davon, wer die amerikanische Präsidentschaftswahl im November gewinnt. In diesem Wettkampf werden die USA auch härtere geo-ökonomische Maßnahmen gegen China einsetzen. Ein Grund dafür ist der sich verschärfende sicherheitspolitische Wettbewerb; ein weiterer ist Amerikas Interesse, seinen technologischen Vorsprung gegenüber China aufrechtzuerhalten.
In der Folge ist damit zu rechnen, dass die nächste US-Regierung – ob unter Donald Trump oder unter Joe Biden – die Technologie-Exporte nach China weiter einschränkt. Ebenso wird sie die Finanzsanktionen gegen einzelne Unternehmen und Banken und möglicherweise ganze Sektoren der chinesischen Wirtschaft erweitern und verschärfen, auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Konfliktes. Um die Effektivität dieser Maßnahmen zu sichern und um zu verhindern, dass Dritte die entstehenden Lücken nutzen und wirtschaftliche Vorteile aus den Sanktionen ziehen, ist zu erwarten, dass die USA verstärkt auf Sekundärmaßnahmen zurückgreifen.
Sekundärsanktionen tangieren Drittstaaten: Durch die Androhung finanzieller Strafen oder gar eines Marktausschlusses werden ausländische Unternehmen gezwungen, unilaterale US-Sanktionen mitzutragen. Schon in der Vergangenheit hat Washington immer wieder Sekundärsanktionen eingesetzt, um Drittstaaten zur Einhaltung unilateraler Handels- und Finanzsanktionen zu bewegen. So hat die Drohung, europäische Banken vom amerikanischen Finanzsystem auszuschließen, es Washington ermöglicht, die Einhaltung amerikanischer Sanktionen gegenüber dem Iran zu erzwingen. Ähnlich funktionierte offenbar die Drohung, einen niederländischen Halbleiterhersteller von kritischen amerikanischen Zulieferungen abzuschneiden, sollte er trotz amerikanischer Exportkontrollbeschränkungen weiter an China liefern.
Biden oder Trump
Würde der derzeitige Präsident Joe Biden wiedergewählt, dürfte seine Regierung bei ihrer „small yard high fences“-Strategie bleiben (auch wenn der solcherart eingezäunte Hof sich vermutlich vergrößern würde): Diese Politik zielt darauf ab, Amerika in ausgewählten, strategisch wichtigen Technologiesektoren von China abzukoppeln und China Zugang zu amerikanischer Spitzentechnologie zu verwehren. Das bedeutet, dass sich auch die Sekundärsanktionen auf ausgewählte Bereiche beschränken würden. Zudem würden die USA unter einem Präsidenten Biden zumindest versuchen, zunächst den Dialog mit Verbündeten zu suchen, um diese zur Einhaltung amerikanischer Sanktionen zu bewegen.
Unter einem Präsidenten Donald Trump würde Washington unilateraler und rücksichtsloser vorgehen, was die wirtschaftlichen Kollateralschäden von Sekundärsanktionen betrifft. Eine „America First“-Politik würde extensivere und aggressivere Sekundärmaßnahmen mit sich bringen. Auch die bereits bestehenden nationalen Gesetze und wirtschaftspolitischen Instrumente (zum Beispiel die Bevollmächtigung des Präsidenten durch den International Economic Emergency Power) dürften maximalistisch ausgelegt und aggressiv angewendet werden. Vor allem würden die Sanktionen und andere wirtschaftspolitische Maßnahmen so konzipiert, dass sie einem breiteren protektionistischen Ziel entsprechen, das über Hochtechnologie und Dual-Use-Güter hinausreicht.
Mehr oder weniger graduelle Unterschiede
So erheblich die graduellen Unterschiede zwischen Biden und Trump sein mögen, das grundsätzliche Problem für Europa ist dasselbe: Ungeachtet dessen, wer die kommende Wahl gewinnt, werden die USA Maßnahmen treffen, die darauf abzielen, China den Zugang zu US-Technologie zu verwehren und die technologische Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit des Landes zu schwächen. Um Ersatzlieferungen aus Europa zu verhindern, werden die USA zu Sekundärmaßnahmen greifen, die die wirtschaftlichen und möglicherweise sogar strategischen Interessen Deutschland und Europas tangieren.
Zu diesem Zweck wird Washington eine Exportkontrollpolitik betreiben, die die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von amerikanischen Zulieferungen oder Rechten am geistigen Eigentum nutzt, um die Firmen dazu zu bewegen, ihre Geschäftsbeziehungen zu sanktionierten chinesischen Unternehmen oder Sektoren zu reduzieren oder aufzugeben. Auch europäischen Banken könnte Washington mit finanziellen Strafen oder gar mit dem Ausschluss vom US-Finanzmarkt drohen, wenn sie Finanz- und Währungssanktionen unterlaufen, die darauf abzielen, ausgewählten chinesischen Unternehmen den Zugang zum internationalen Markt zu erschweren.
Der Wahlausgang wird die Sanktionspolitik der USA also nicht grundsätzlich beeinflussen, wohl aber über Ausmaß und Aggressivität der verhängten Sanktionen entscheiden. Die Kosten für Europa wären im Falle einer zweiten Trump-Administration höher. Aber die konkreten Maßnahmen, die Europa zur Abwehr von US-Sekundärsanktionen treffen sollte, sind dieselben.
Empfehlungen: Deutschland muss auf die EU setzen
1. Eine gemeinsame EU-Sanktionspolitik
Allein kann Deutschland gegen amerikanische Sanktionen so gut wie nichts bewirken. Um Europa zu einem attraktiveren Kooperationspartner hinsichtlich Sanktionen zu machen und seine Verhandlungsposition gegenüber den USA zu stärken, sollte die Bundesregierung auf die Entwicklung einer gemeinsamen EU-Sanktionspolitik auf der Basis von Mehrheitsentscheidungen und eines Kompensationsmechanismus zwischen den Mitgliedsstaaten drängen.
Wenn Entscheidungen über EU-Sanktionen nicht von einstimmigen Beschlüssen abhängen, würde dies die EU-Verhandlungsposition gegenüber den USA stärken. Generell sollte eine Zweidrittelmehrheit ausreichen, um wirtschaftliche Maßnahmen anzunehmen, die von der EU-Kommission vorgeschlagen werden. Noch besser wäre es, wenn die EU-Kommission nach Konsultation mit den Mitgliedsstaaten Maßnahmen vorschlagen kann, die dann von einem Drittel der EU-Staaten abgelehnt werden müssten, um sie zu verhindern. Die Einführung eines Kompensationsmechanismus, der darauf abzielt, die mit den Sanktionen verbundenen Kosten, fairer zu verteilen, würde die Bereitschaft der einzelnen EU-Staaten erhöhen, den vorgeschlagenen Sanktionen zuzustimmen.
2. Ein EU-Sanktionsbüro
Deutschland sollte sich zudem dafür einsetzen, die EU-Kommission im Bereich der Sanktionspolitik politisch und institutionell zu stärken. Der Aufbau eines EU-Sanktionsbüros sollte vorangetrieben werden. Zwar hat die EU seit 2023 einen Sanktionskoordinator, doch verfügt dieser nur über sehr beschränkte Befugnisse und keine eigenständige Behörde. Die Schaffung einer eigenständigen Agentur würde die Formulierung einer EU-Sanktionspolitik erleichtern. Nach innen sollte das EU-Sanktionsbüro als Koordinations-, Planungs- und Überwachungsstelle dienen; nach außen würde es als Gesprächspartner der jeweiligen US-Akteure wie demOffice of Foreign Asset Control (OFAC) des Finanzministeriums und dem Bureau of Industry and Security(BIS) des Handelsministeriums, agieren.
Eine einheitlichere EU-Sanktionspolitik würde Europa als geo-ökonomischen Partner attraktiver machen. Dadurch würde die EU grundsätzlich größeren Einfluss auf US-Sanktionspolitik erhalten, vor allem dort, wo die USA Europas Kooperation benötigen, weil ihre eigene wirtschaftliche Macht nicht ausreicht, um Sanktionen effektiv durchzusetzen. Aus amerikanischer Sicht erhöht Kooperation die Effektivität von Sanktionen und mindert die Kosten ihrer administrativen Durchsetzung. Dies betrifft selbst Sekundärsanktionen. Die EU sollte deswegen ihre grundsätzliche Kooperation in Bezug auf Sanktionen von der Bereitschaft der USA abhängig machen, Sekundärsanktionen so zu formulieren, dass sie die Kosten für europäische Wirtschaftsinteressen minimieren.
3. Wirtschaftspolitische Verteidigung
Eine solche Strategie der bedingten Kooperation wird nicht in allen Fällen erfolgreich sein. Umso wichtiger ist es für die EU, ihre Bereitschaft zu signalisieren, von ihrem neu geschaffenen anti-coercion-Instrument Gebrauch zu machen, um sich gegen diskriminierende wirtschaftliche Maßnahmen von amerikanischer Seite zu wehren. Mit seiner Hilfe könnte die EU den USA Vergeltungsmaßnahmen androhen, die proportional sind zu den Kosten, die europäische Unternehmen durch US-Sekundärsanktionen erleiden. Europas würde auf diese Weise seine Verhandlungsposition stärken: Für die USA steigt der Anreiz zur Konsensfindung, wenn sie mit Gegenmaßnahmen rechnen müssen. Nicht zuletzt würde Washington versuchen wollen, einen breiteren transatlantischen Konflikt zu vermeiden, der letztendlich auch das Risiko bergen würde, die US-Sanktionen zu schwächen.
Eine gestärkte EU muss vor allem fähig und willens sein, wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die die Effektivität amerikanischer Sekundärsanktionen zu schwächen drohen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es äußerst schwierig bis unmöglich ist, europäische Unternehmen dazu zu bewegen, amerikanische Sekundärsanktionen zu ignorieren. Diese sind gerade deswegen effektiv, weil die Kosten ihrer Einhaltung normalerweise niedriger sind als die Kosten ihrer Verletzung.
Die EU sollte deshalb über die Entwicklung von Instrumenten nachdenken, mit denen sie glaubwürdig drohen kann, amerikanische Sanktionen aktiv zu unterlaufen, wenn diese europäische Interessen verletzen. Das erfordert eine wirkungsvolle „wirtschaftspolitische Abschreckungspolitik“. Folgende Ansätze sollten studiert und in Betracht gezogen werden:
- Sollten die USA versuchen, Exportkontrollmaßnahmen auf Produkte europäischer Unternehmen auszuweiten, könnte sich die EU als Zwischenhändler einschalten: Sie könnte heimische Unternehmen per Erlass dazu zwingen, die von den USA ins Visier genommenen Produkte an eine EU-Agentur zu verkaufen, die diese dann an die sanktionierten Endabnehmer weiterverkauft. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn die europäischen Unternehmen nicht so stark von US-Importen und -Technologie abhängig sind, dass die USA bereits die Herstellung der sanktionierten Produkte unterbinden können (foreign direct product rule). Selbst wenn das nicht der Fall ist, bleibt für die europäische Unternehmen das Risiko amerikanischer Strafmaßnahmen bestehen, eingeschlossen finanzieller Strafen und Marktausschluss, was zu massiven finanziellen Verlusten führen könnte. Aber gleichzeitig bestünde aus amerikanischer Sicht die Gefahr, dass die jeweiligen Sanktionen ineffektiv bleiben, was Washington zu Verhandlungen und Kompromiss bewegen sollte.
- Um US-Finanz- und Währungssanktionen zu begegnen, könnte die EU eine öffentliche Finanzinstitution mit einem eigenen euro-basierten Zahlungssystem aufbauen, die unter anderem mit von USA sanktionierten Organisationen Geschäftsbeziehungen unterhält. Die USA könnten eine solche Institution zwar sanktionieren, ebenso wie die Banken und Unternehmen, die wirtschaftliche Beziehungen zu ihr unterhalten. Im Gegenzug hätte die EU aber die Möglichkeit, sämtliche in der EU ansässigen Banken und Unternehmen zu verpflichten, eine Geschäftsbeziehung mit dieser öffentlichen Bank einzugehen und Transaktionen mit Dritten vertraulich zu behandeln. Dies würde Washington dazu zwingen, im Zweifelsfall alle europäischen Banken und Unternehmen zu sanktionieren. Der wirtschaftlichen Kollateralschaden wäre enorm, was helfen sollte, die USA dazu zu bewegen, einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss hinsichtlich Finanzsanktionen zu finden.
An diesen beiden Beispielen wird deutlich: Grundsätzlich muss eine erfolgsversprechende EU-Anti-Sanktionspolitik auf der Drohung rechtlichen Zwanges basieren, um deutsche und europäische Unternehmen zur Nicht-Respektierung amerikanischer Sekundärsanktionen zu zwingen. Nur so kann die EU den USA glaubwürdig signalisieren, dass sie ihre Sanktionsziele nicht erreichen können, zumindest nicht ohne massiven wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Es bedarf einer detaillierteren Analyse, um zu sehen, ob dieser Ansatz rechtlich möglich und wirtschaftlich vernünftig ist.
4. Transatlantisches Sanktionsbüro
Deutschland and die EU sollten auch Reformen und Maßnahmen verfolgen, die die EU als Kooperationspartner für Washington attraktiver machen. Dazu gehört die Gründung eines transatlantischen Sanktionskomitees zur Institutionalisierung der gemeinsamen Planung, Umsetzung und Durchsetzung von Sanktionen. Dies würde den Informationsaustausch und die Umsetzung von Sanktionen vereinfachen. Darüber hinaus könnte das Sanktionskomitee zur gemeinsamen, vorausschauenden Planung der künftigen Sanktionspolitik genutzt werden, vor allem in Bezug auf geopolitische Eventualitäten wie eine mögliche Invasion Taiwans. Ein Vorläufer des hier vorgeschlagenen Komitees existiert bereits mit dem Sanktions-Koordinations-Forum, das aus den USA, der EU, und zehn weiteren Ländern besteht. Außerdem wird derzeit der EU-US Trade and Technology Council (TTC) zur Abstimmung hinsichtlich der Sanktionspolitik gegenüber Russland genutzt. Ein eigenständiges Sanktionsbüro wäre dennoch zu bevorzugen, nicht zuletzt, weil unsicher ist, ob der TTC die US-Präsidentschaftswahlen überleben wird.
Ein transatlantisches Sanktionskomitee würde den USA eine effektivere und weniger kostenreiche Umsetzung von Sanktionen erlauben, vor allem in Bereichen, in denen Washington nicht über ausreichend wirtschaftliche Macht verfügt, um seine Ziele mit Hilfe von Sekundärsanktionen zu erzwingen. Im Gegenzug könnte die EU auf die Formulierung von US-Sanktionen Einfluss nehmen, um die wirtschaftlichen Kosten für Europa zu minimieren.
Schlussfolgerung
Wer auch immer im Januar 2025 in das Weiße Haus einzieht: Es wird Bereiche geben, in denen die USA unilateral vorgehen werden, um Unternehmen und Banken in Drittstaaten durch Sekundärsanktionen zur Einhaltung amerikanischer geo-ökonomischer Maßnahmen zu zwingen. In anderen Fällen werden die USA aber die Kooperation anderer Staaten benötigen, um etwaige Sanktionen effektiv umzusetzen. Vor allem dort, wo die Effektivität von amerikanischen Maßnahmen von deren Multilateralisierung und somit von der Kooperation von Drittstaaten abhängt, gewinnt die EU, vor allem dann, wenn sie geschlossen auftreten kann, an Einfluss.
Aber auch durch eine größere Fähigkeit, sich glaubwürdig amerikanischen Sekundärsanktionen zu widersetzen, selbst dann, wenn dies zu signifikanten wirtschaftlichen Kosten führen sollte, kann die EU Einfluss auf die US-Sanktionspolitik gewinnen. Gleichzeitig würde eine Vergemeinschaftung der Sanktionspolitik die Verhandlungsposition der EU stärken, weil diese als geo-ökonomischen Kooperationspartner begehrenswerter und als sogenannter Third-Party Spoiler unangenehmer würde. Die Stärkung der EU-Sanktions- und Anti-Sanktionspolitik sollte so konzipiert werden, dass sie das Kosten-Nutzen-Kalkül Washington möglichst stark beeinflusst. Das würde Europa in eine bessere Lage versetzen, Einfluss auf die Formulierung amerikanischer Sanktions- und geo-ökonomischer Politik auszuüben.
See also: Die Verhandlungsmacht der EU stärken