Die Trump-Regierung verfolgt eine Politik des coervice protectionism, die die Handelsabhängigkeit anderer Länder ausnutzt, um verschiedene wirtschaftliche und politische Ziele durchzusetzen. Was auch die jeweiligen Ziele im Fall einzelner handelspolitischer Maßnahmen sein mögen, die US-Handelspolitik ist insgesamt dramatisch protektionistischer geworden. Da es ungewiss ist, ob und in welchem Ausmaß die nächste US-Administration die verhängten Handelsbeschränkungen rückgängig machen wird, muss die EU ihre Anstrengungen zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Sicherheit und Unabhängigkeit beschleunigen.
Der Kommentar gibt zunächst einen kurzen Überblick über die US-Handelspolitik der Trump-Administration und analysiert, inwieweit die jeweils verfolgten Ziele erreicht werden können. Dann werden die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA betrachtet. Der Kommentar argumentiert, dass die EU gut beraten wäre, ihre Anstrengungen zur Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit im Hinblick auf die destabilisierende Handelspolitik der USA zu intensivieren.
US-Handelspolitik und Coercive Protectionism
Wirtschaftspolitisch hat die Trump-Regierung weitgehend traditionelle republikanische Prioritäten verfolgt, inkl. Deregulierung (z. B. Energie, Finanzen) und Regulierungsmaßnahmen zur Unterstützung ausgewählter Sektoren (z. B. Kryptowährungen, KI). Eher ungewöhnlich für eine republikanische Administration, verfolgt sie auch eine zunehmend interventionistische Politik in bestimmten Sektoren, die teilweise durch handelsbeschränkende Maßnahmen flankiert wird (z. B. Seltene Erden, Halbleiter). Die Administration war bisher überraschend wenig an Dollar- und Wechselkurspolitik interessiert, aber Präsident Trump hat die Federal Reserve scharf kritisiert und drastische Zinssenkungen gefordert. Was die Finanzpolitik betrifft, so hat der republikanische Kongress die sogenannte one big beautiful bill verabschiedet, die auf aufgrund signifikanter Steuersenkungen zu weiterhin hohen Fiskaldefiziten und steigender Staatsverschuldung führen wird.
Im Rahmen einer Politik des coercive protectionism, der die Handelsabhängigkeit anderer Länder ausnutzt, um wirtschaftliche und politische Konzessionen zu erringen, hat sich Trumps Wirtschaftspolitik am stärksten hinsichtlich internationalen Handels ausgewirkt. Insgesamt verlaufen die Formulierung und Umsetzung der Handelspolitik oft unkoordiniert, offenbar geleitet von den persönlichen Präferenzen des Präsidenten anstelle eines institutionalisierten inter-agency Prozesses auf der Grundlage eines kohärenten strategischen Planes. Handelspolitische Maßnahmen sind im Hinblick auf ihre erklärten Ziele oftmals schlecht konzipiert. Bilaterale Handelsabkommen mit anderen Ländern zur Vermeidung höherer Zölle sind ungenügend detailliert. All dies hat zu andauernder internationaler handelspolitischer Instabilität geführt.
Eine Vielzahl von zollbasierten Einfuhrmaßnahmen auf sektoraler, länderspezifischer und globaler Basis hat den durchschnittlichen effektiven Zoll auf US-Importe unter der Trump-Administration von 2 % auf 18 % ansteigen lassen, was etwa dem Niveau der dreißiger Jahre entspricht. Die Trump-Regierung hat sektorale Zölle eingeführt (Stahl und Aluminium, Autos, Kupfer) und weitere sektorale Beschränkungen werden derzeit in Erwägung gezogen (z.B. Flugzeuge, Pharmazieprodukte, Seltene Erden, Halbleiter, Lastwagen). Nach der Ankündigung sogenannter reciprocal tariffs auf alle Handelspartner im April veranlasste die daraus resultierende Volatilität an den Finanzmärkten die Trump Regierung, den "länderspezifischen" Zoll (nicht aber den 10% baseline tariff) vorübergehend (meist bis August) auszusetzen, um den Abschluss bilateraler Handelsabkommen zu ermöglichen. Viele der bisher erzielten Handelsvereinbarungen sind vage, und es bleibt abzuwarten, wie lange sie Bestand haben bzw. inwieweit sie überhaupt umgesetzt werden.
Andere länderspezifische Zölle, die anfänglich hauptsächlich China, Kanada und Mexico betrafen, wurden zwischenzeitlich auch teilweise suspendiert bzw. nicht nehmen Handel aus, der vom US-Mexiko-Kanada Freihandelsabkommen abgedeckt werden. Die Trump-Administration hat auch aus primär politischen Gründen bilaterale, inkl. „sekundäre“ Zölle gegen ausgewählte Länder verhängt bzw. angedroht zu verhängen (z.B. Brasilien, Iran, Kolumbien, Russland, Venezuela).
Selbst wenn die bilateralen Handelsabkommen, die vor dem Hintergrund der Drohung von reciprocal tariffsabgeschlossen wurden, sich als robust erweisen sollten, so ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Trump-Administration davon absehen wird, coervice protectionism weiterhin als Mittel zur Verfolgung zumindest nicht-wirtschaftlicher und Ziele zu nutzen. Das bedeutet, dass die US-Handelspolitik weiterhin disruptiv und unberechenbar bleiben wir
Die (offiziellen) wirtschaftlichen Ziele der Trump-Handelspolitik
Die US-Handelspolitik scheint eine Vielzahl von nicht immer konsistenten wirtschaftlichen Zielen zu verfolgen. Erstens: das US-Handelsdefizit ist ein besonderes Anliegen der Trump-Regierung. Die breit angelegten reciprocal tariffs, dessen länderspezifische Höhe die jeweils bilaterale Warenhandelsbilanz widerspiegelt, zielten darauf ab, das US-Handelsdefizit zu reduzieren. Diese wurden kurz nach ihrer Ankündigung zwar vorübergehend (meist bis August) ausgesetzt. Aber nachfolgende bilaterale Handelsabkommen führten dann zu höheren Zöllen für US-Importe, verbesserten Marktzugang für US-Exporte und Versprechen der Verhandlungspartner, die Einfuhren von US-Waren zu erhöhen.
Zweitens und drittens: das Ziel, in- und ausländische Investitionen sowie Beschäftigung in der heimischen Industrie zu erhöhen, wird oft als Grund für die Einführung von Zöllen genannt. Die Logik scheint zu sein, dass, wenn ausländische Unternehmen sich mit höheren Zöllen konfrontiert sehen, sie Produktionskapazitäten in den USA aufbauen werden. In ähnlicher Weise werden US-Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz geschützt, was Anreize schafft, die Produktion in den USA auszuweiten. Im Rahmen bilateraler Handelsabkommen haben Handelspartner oft Versprechungen gemacht, ihre Investitionen in den Vereinigten Staaten zu erhöhen.
Viertens: die Trump-Administration verfolgt die Steigerung von Staatseinnahmen durch höhere Zölle. Höhere Zölle mögen das Niveau der Importe verringern, aber höhere Einfuhrzölle sollen die Staatseinnahmen insgesamt erhöhen. Das Ziel höherer Einnahmen steht dennoch etwas im Widerspruch zu dem Ziel, ausländische Unternehmen zur Verlagerung ihrer Produktion in die USA zu bewegen.
Fünftens: oft wird nationale Sicherheit als Grund für die Verhängung sektoraler Handelsbeschränkungen angeführt. In einigen Fällen ist dies nicht der wirkliche Bewegrund, sondern dient der juristischen Rechtfertigung, die zur Aktivierung des sektoralen Handelsinstruments notwendig ist (sogenannte Section 232 Handelsbeschränkungen). In anderen Fällen bestand der eigentliche Grund für sektorale Zölle darin, importkonkurrierende Sektoren in wichtigen swing states wie Michigan, Wisconsin und Pennsylvania zu unterstützen (z. B. Autos, Stahl). Dennoch ist in anderen Fällen die sicherheitspolitische Begründung glaubwürdig, auch wenn man sich über die Effektivität der Maßnahmen streiten mag (z. B. Halbleiter, Seltene Erden, Kupfer).
Schließlich hat die US-Regierung Handelsbeschränkungen verhängt (oder damit gedroht), um politische Konzession zu erzwingen (z. B. Brasilien, Kolumbien). Selbst die umfassenden Zölle gegen Kanada und Mexiko wurden auf der Basis politischer eher als wirtschaftlicher Gründe gerechtfertigt (z. B. Grenzsicherheit), obwohl diese Begründung auch eher auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Rechtfertigung zurückzuführen war, um ein handelspolitisches Instrument zu mobilisieren, das der Administration große handelspolitische Flexibilität ermöglicht (International Economic Emergency Powers Act).
Handelspolitik wird Mehrzahl der wirtschaftlichen Ziele verfehlen
Es ist nicht immer klar, was die eigentlichen Ziele sind, die einer bestimmten handelspolitischen Maßnahme zugrunde liegen. Ob man die Worte der Regierung für bare Münze nimmt oder nicht, lohnt es sich dennoch zu fragen, ob die vorgegebenen (angeblichen) wirtschaftlichen Ziele realisiert werden können.
Erstens sollen Zölle eine Verringerung des US-Handelsdefizits bewirken. Die Wirtschaftsforschung hat gezeigt, dass die Auswirkungen von Zöllen auf die Handelsdefizite bestenfalls gering sind.
[1] Bilaterale Zölle können sich auf das bilaterale Defizit auswirken. Aber solange die Zölle nicht breit und hoch genug sind, um das Saldo zwischen heimischen Ersparnissen und heimischen Investitionen einer Volkswirtschaft zu beeinflussen, wird das Handelsdefizit weitgehend unverändert bleiben. Abgesehen davon, dass Zölle negative Auswirkungen auf die Produktivität haben, wird Trumps‘ Fiskalpolitik, die zu hohen Budgetdefiziten führt, den bestenfalls geringen Effekt höherer Zölle auf das Handelsdefizit begrenzen, wenn nicht sogar mehr als ausgleichen.
Zweitens sollen höhere Zölle die in- und ausländischen Investitionen in der Industrie erhöhen. Aber selbst in Sektoren, in denen solche Investitionen nach der Einführung von Zöllen profitabel werden, werden die Unternehmen angesichts der Ungewissheit, ob die Zölle langfristig bestehen bleiben, zögern, große Beträge zu investieren. (Nicht wenige der von in- und ausländischen Unternehmen angekündigten Investitionen waren mehr als teilweise Augenwischerei.) Die Unternehmen werden weitgehend versuchen, Trump "auszusitzen" oder zumindest abzuwarten, ob die Zölle unter der nächsten US-Administration weiter in Kraft bleiben.
Drittens werden die Zölle, selbst wenn sie eine signifikante Ausweitung der Industrieproduktion zur Folge hätten, nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Beschäftigung führen.
[2] Die Beschäftigung in Industrie und verarbeitendem Gewerbe ist in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit Jahrzehnten rückläufig, und die Industrieproduktion, die in der die Vereinigten Staaten wettbewerbsfähig ist (oder wäre), ist sehr kapital- und nicht arbeitsintensiv. Die Beschäftigungszuwächse aufgrund höherer Zölle werden vernachlässigbar klein bis negativ sein.
Viertens sollen höhere Zölle auf Importe dazu beitragen, die Staatseinnahmen zu erhöhen. Anders als im Fall der anderen Ziele, wo die Effekte erst in den nächsten Jahren sichtbar werden, ist es schon zu einem Anstieg zollbezogener Einnahmen gekommen. Darüber hinaus schätzt das Congressional Budget Office, vorausgesetzt die derzeitigen Handelsbeschränkungen bleiben in den nächsten zehn Jahren unverändert, dass die höheren Zölle (bereinigt um deren Sekundäreffekte) das US-Haushaltsdefizit kumulativ um 3,3 Billionen Dollar reduzieren werden (oder gar um 4 Billionen, wenn die sich daraus ergebenden niedrigeren Zinsausgaben einrechnet).
[3] Im Vergleich dazu betragen das 2025 Haushaltsdefizit 1,9 Billionen Dollar und die Staatseinnahmen für 2024 beliefen sich auf 4,9 Billionen Dollar. Abgesehen davon, dass ein erheblicher Teil der Erhöhung efektiv von US-Unternehmen und Verbrauchern bezahlt wird, werden die Zölle die Einnahmen dennoch erhöhen, auch wenn dies auf Kosten wirtschaftlicher Wohlfahrtsverluste geschieht.
Fünftens sollen durch Handelsbeschränkungen die nationale Sicherheit gestärkt werden. Höhere Zölle erhöhen die Kosten einzelner kritischer Güter. Aber wenn sie zu einer Ausweitung der inländischen Produktionskapazitäten führen, können sie die Abhängigkeit von aus dem Ausland gelieferten Waren verringern. Abgesehen davon, dass viele die nationale Sicherheit betreffende sektorale Beschränkungen schlecht konzipiert scheinen, wird es Zeit brauchen, inländische Produktionskapazitäten aufzubauen oder auszubauen (z. B. Seltene Erden, Kupfer). Nichtsdestotrotz können sektorale Beschränkungen dazu beitragen, die längerfristige Versorgungssicherheit zu erhöhen, auch wenn dies höhere Kosten nach sich zieht.
Transatlantischer Handelskonflikt
Was bedeutet das alles für die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA? Höhere Zölle werden nicht zu einer Renaissance der amerikanischen Industrie und des verarbeitenden Gewerbes führen, zumal die US-Wirtschaft nun auf teurere Zwischenimporte angewiesen sein wird und geringerer internationaler Wettbewerb langfristig weniger Produktivitätsfortschritt generieren wird. Höhere Zölle werden die Investitionen in Industrie und im verarbeitenden Gewerbe nicht signifikant erhöhen. Das US-Handelsdefizit könnten sich aufgrund höherer Zölle etwas verringern, aber das bilaterale Handelsdefizit zwischen der EU und den USA wird sich nicht dramatisch ändern. Höhere Zölle werden europäische Exporte in die USA in vielen Fällen weniger wettbewerbsfähig machen, v.a. im Vgl. zu inländischer Produktion, aber nicht notwendigerweise im Vgl. zu Drittländern, insoweit letztere einen weniger gutes Abkommen mit den USA aushandeln. Von sektoralen Effekten einmal abgesehen, bleibt hinsichtlich des längerfristigen Effekts höherer Zölle zu bedenken, dass der Dollar seit Jahresbeginn gegenüber dem Euro um mehr als 15 % abgewertet hat, was bedeutet, dass zukünftige Dollar-Euro-Schwankungen das Potenzial haben, die erhöhten US-Zölle auf europäische Importe auszugleichen (auch wenn die Erhöhung der US-Zölle und die Abwertung des Dollars derzeit einen doppelten Schlag für die europäischen Exporteure darstellt).
Neben der Einführung bzw. Verschärfung sektoraler Handelsrestriktionen (z.B. Stahl, Autos), hat die US-Regierung in April im Kontext von reciporal tariffs Zölle von insgesamt 30% auf die Einfuhr (eines Großteils) europäischer Waren erlassen, die dann suspendiert wurden, um bilaterale Verhandlungen zu ermöglichen. Obwohl die EU auf Vergeltungszölle als Reaktion auf sektorale und reciprocal tariffs vorbereitete, verzichtete sie auf deren Verhängung im Kontext bilateraler Verhandlungen. Die EU versäumte es auch, das anti-coercion tool zu aktivieren, das die Verhängung eines breiteren Spektrums an wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen ermöglicht hätte. Die Möglichkeit, beispielsweise, bedeutende Beschränkungen für US-Dienstleistungsexporte zu verhängen, hätte die Verhandlungsmacht der EU gestärkt, nicht zuletzt da der amerikanische Überschuss an Handelsdienstleistungen mit der EU fast so groß ist wie der Überschuss der EU im Warenhandel mit den Vereinigten Staaten.
[4] Zugegebenermaßen, die Androhung von Vergeltungsmaßnahmen kann rasch zu einer ungewollten Eskalation führen. Aber eine erfolgreiche geoökonomische Abschreckungspolitik kann, ein sehr effizientes Instrument sein, um kostenreiche Handelskonflikte zu vermeiden oder zumindest eine Einigung zu günstigeren Bedingungen zu erzielen. Die EU war zu wenig risikofreudig in ihren Verhandlungen mit der Trump-Regierung.
China zum Beispiel scheute sich nicht, Vergeltungsmaßnahmen gegen die Erhöhung von US-Zöllen zu ergreifen und die Eskalationsleiter „hinaufzusteigen“. Als die gegenseitigen Zölle auf weit über 100 Prozent gestiegen waren, stimmte Washington einer Deeskalation und der Suche nach einer Verhandlungslösung zu. Inwiefern Pekings Bereitschaft, den Export kritischer Rohstoffe in die USA einzuschränken, zur Deeskalation beigetragen hat, kann diskutiert werden. Tatsache ist jedoch, dass sich die Trump-Regierung auf die eskalierenden Kosten des Handelskonflikts reagiert hat. Eine ähnliche Reaktion zeigte sich auch im April, als die US-Regierung die reciprocal tariffs, nachdem deren Ankündigung eine erhebliche Volatilität an den US-Finanzmärkten ausgelöst hatte, vorübergehend außer Kraft setzte.
Brüssel und Washington haben im August ein bilaterales Handelsabkommen geschlossen.
[5] Demnach werden die USA einen Zoll auf EU-Einfuhren von maximal 15 %, einschließlich auf Autos und Autoteile, einführen. Der Zoll von 15 % soll auch für zukünftige Zölle auf Pharmazieprodukte und Halbleiter gelten, die derzeit Gegenstand von Untersuchungen hinsichtlich sektoraler Handelsbeschränkungen sind. Die Zölle auf eine Vielzahl anderer Güter, einschließlich Flugzeuge und Flugzeugteile, sollen auf ihr früheres Niveau verringert werden. Zollkontingente für EU-Stahlexporte werden auf ihr "historisches Niveau" zurückgeführt. Die EU hat sich außerdem verpflichtet, 600 Mrd. US-Dollar in den USA zu investieren und Energieimporte im Wert von 750 Mrd. zu tätigen, wobei unklar bleibt, wie genau die EU dieses Versprechen erfüllen kann. Darüber hinaus sollten alle EU-Zölle auf Industriegüterimporte aus den USA abgeschafft werden. Beide Seiten verpflichteten sich außerdem zum Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse. Es bestehen weiterhin Meinungsverschiedenheiten bzw. Unklarheit hinsichtlich wichtiger Details, was zu weiteren Streitigkeiten und Instabilität in den bilateralen Handelsbeziehungen führen könnte (z.B. nichttarifäre Handelshemmnisse, digitaler Handel, Umsetzung der Zollsenkungen)
EU muss Wirtschaftssicherheitsstrategie intensiv vorantreiben
Protektionistische Handelsmaßnahmen können zur Verfolgung einer Vielzahl von Zielen eingesetzt werden. Coercive protectionism wird sich als ein – in den Händen der derzeitigen US-Administration – zu unwiderstehliches Instrument erweisen, als dass es nicht weiterhin eingesetzt werden würde, sei es zur Verfolgung wirtschaftlicher oder politischer Ziele. Darüber hinaus mangelt es in den Fällen, in denen bilaterale Handelsabkommen geschlossen wurden, oft an Details, was zu erneuten Konflikten führen kann. Außerdem sind weitere sektorale, handelsbezogene Untersuchungen im Gange. Deswegen werden die internationalen Handelsbeziehungen weiterhin von Instabilität, Unberechenbarkeit und Unverlässlichkeit geprägt sein.
[6]
Die Vereinigten Staaten werden dennoch die meisten ihrer vorgegebenen wirtschaftspolitischen Ziele nicht erreichen, einschließlich der signifikanten Verringerung des Handelsdefizits, der "Wiederbelebung" der heimischen Industrie oder dem Anstieg der Beschäftigung in Industrie und verarbeitendem Gewerbe. Allenfalls werden die mit höheren Zöllen verbundenen Staatseinnahmen steigen, aber auf Kosten eines geringeren langfristigen Wirtschaftswachstums. Sektorale Beschränkungen können dazu beitragen, kritische wirtschaftliche Abhängigkeiten hinsichtlich kritischer Einfuhren und nationaler Sicherheit zu verringern, jedoch zu nicht unerheblichen finanziellen Kosten.
Aus diesem Grund sollte die EU ihre Anstrengungen zur Bewältigung der Handelsspannungen mit den USA (und auch China), flankiert durch eine wirksamere geoökonomische Abschreckungs- und Verteidigungspolitik.
[7] Die EU sollte aber gleichzeitig Anstrengungen beschleunigen, ihre wirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen und sich so weniger anfällig für coercive protectionism zu machen. Dies sollte durch Export-Diversifizierung und die Verringerung importbedingter Verletzlichkeiten geschehen, wobei letztere ebenfalls durch Diversifizierung und gegebenenfalls dem Aufbau heimischer Produktionskapazitäten gemindert werden kann.
Das bedeutet nicht, dass die Möglichkeit handelspolitischer Kooperation mit den USA, v.a. was wirtschaftliche und nationale Sicherheit betrifft, nicht eingehend geprüft werden sollte. Aber die EU muss davon ausgehen, dass die Bereitschaft einer stark transaktionsorientierten und unilateral agierenden US-Administration, deren Handelspolitik durch ein geringes Maß an wirtschaftlicher und strategischer Kohärenz gekennzeichnet ist und die nicht davor zurückscheut, wirtschaftliche Abhängigkeiten opportunistisch auszunutzen, verlässliche und dauerhafte Vereinbarungen zu treffen, gering ist.
ECB, US trade policies and the activity of US multinational enterprises in the euro area, Economic Bulletin No. 4, 2025